Wednesday, December 28, 2016

Berliner Amokfahrt: Wurde Naved B nach Karlsruhe geflogen?

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Naved B (oder Navid B) ist der Mann, der kurz nach dem Berliner Terroranschlag von der Polizei festgenommen wurde, weil ein Zeuge ihn als die Person identifiziert hatte, die aus dem LKW ausgestiegen und weggerannt war. Nach 22 Stunden wurde er von Generalbundesanwalt Peter Frank wegen unzureichenden Tatverdachts wieder auf freien Fuss gesetzt. Die Umstände des Vorfalls sind obskur und werfen eine Reihe von Fragen auf (Näheres dazu hier).

Eine davon ist zum Beispiel, ob Naved B per Hubschrauber nach Karlsruhe in die Obhut der Bundesanwaltschaft gebracht wurde oder nicht. Die Meldungen dazu sind widersprüchlich. Dieses auf den ersten Blick eher nebensächliche Detail birgt durchaus Sprengstoff für die "offizielle Version", weil es auf den Initiator der Freilassung von Naved B weist. War es wirklich die Berliner Polizei, wie es den Anschein hat? Oder nicht doch eher die Bundesanwaltschaft?

Mit Hilfe eines Live-Blogs der Berliner Zeitung lässt sich der Sachverhalt etwas besser beleuchten. Die ersten Meldungen, dass die Polizei einen Verdächtigen gefasst und in Gewahrsam habe, trudelten gegen 21:30 ein:



Mit der "Wache am Breitscheidplatz" dürfte die Dienststelle in der Bismarckstrasse gemeint sein. Hier wurde der Verdächtige bis nach Mitternacht verhört:



Um 1:51 am Dienstagmorgen wurde er dann, den Kopf mit einem Tuch verhüllt, weggefahren.



Von dem besagten Hubschrauber gibt es sogar zwei Fotos. Eines soll um 0:10 aufgenommen worden sein.


Die Bild-Zeitung veröffentlichte ein anderes, sehr ähnliches Foto, das aber angeblich erst um 2:17 entstand:




Die unterschiedlichen Zeitangaben widersprechen sich nur bedingt; der Helikopter könnte ja zwei Stunden am Flughafen gestanden haben. Lediglich die Information von "Bild", dass er um 2:17 landete, wäre dann inkorrekt. Feststehen dürfte, dass der Verdächtige um 1:51 von der Polizeiwache weggefahren wurde. Demnach dürfte er zwischen 2:10 und 2:30 in den Hubschrauber gesetzt worden und gegen 5:00 in Karlsruhe angekommen sein. Drei Stunden später kam die Bestätigung, dass er tatsächlich nicht mehr in Berlin war.



Im Laufe des Vormittags sickerten dann einige Details über den Verdächtigen durch: er hiess Naved B, war pakistanischer Staatsbürger, lebte in einer Flüchtlingsunterkunft am Flughafen Berlin-Tempelhof, nutzte mehrere Identitäten und war wegen kleinerer Delikte vorbestraft. Gegen 9 Uhr verriet die Berliner Polizei (über ihren Sprecher Winfrid Wenzel) Details über seine Flucht durch den Tiergarten und die Verfolgung durch "Zeuge X", die schliesslich zur Festnahme führte.



Die Anzeichen, dass man den Täter gefasst hatte und der Fall bereits aufgeklärt war, verdichteten sich also. Dann kam plötzlich folgende Meldung:



Der aufgeregte Ton dieser "Eil"-Meldung irritiert - dass ein Tatverdächtiger die Tat leugnet, ist schliesslich nicht ungewöhnlich und trägt im allgemeinen wenig zu seiner Entlastung bei. Doch die Meldung leitete eine überraschende Wende im Fall Naved B ein. Nun auf einmal kamen entlastende Umstände ans Licht der Öffentlichkeit.



Und dann heisst es sogar, Naved B sei gar nicht in Karlsruhe, sondern immer noch in Berlin.



Gegen 13 Uhr machte die Berliner Polizei dann eine Rolle rückwärts: "Wir haben den falschen Mann."




Wenig später zog auch der Generalbundesanwalt nach.



Um 19:00 wurde Naved B schlussendlich wegen mangelnden Tatverdachts freigelassen.

Die Chronologie scheint nahezulegen, dass der Berliner Polizei am Dienstagvormittag selbst Zweifel an Naved B's Täterschaft kamen. Aber warum dieser späte Sinneswandel? Dass der Pakistani die Tat abstritt und dass an ihm keinerlei Blut- und Schmauchspuren zu finden waren, war den Berliner Ermittlern sicherlich schon in der Nacht bekannt. Es ist völlig unerfindlich, warum sie am Dienstag zunächst seine Identität und Details seiner Vita preisgaben, in der Zuversicht, den "Richtigen" zu haben - nur um dann Stunden später eine 180 Grad-Wende zu vollziehen.

Und genau das macht die mutmassliche Überstellung von Naved B nach Karlsruhe so interessant: es sieht ganz danach aus, als habe die Bundesanwaltschaft nach seiner Vernehmung auf seine Freilassung hingewirkt und die Berliner angehalten, ihre Erkenntnisse, das heisst vor allem den Beweiswert der Aussage des Zeugen X, zu relativieren - nachdem der Stunden zuvor noch von Polizeisprecher Wenzel über den grünen Klee gelobt worden war. Dass die Initiative aus Karlsruhe kam, sollte dabei wohl nicht publik werden - deshalb die merkwürdige Nachricht, dass Naved B am Dienstagmittag immer noch in Berlin war und verhört wurde.

Wer oder was könnte die Bundesanwaltschaft zu diesem mutmasslichen Eingriff veranlasst haben? Hier lässt sich natürlich trefflich spekulieren. Es sieht aber ein wenig danach aus, dass Naved B's Auftraggeber über einen gewissen Einfluss auf die bundesdeutschen Behörden verfügten und über informelle Kanäle seine Freilassung erwirkten.